notariat zwettl

anerkennung mit dem niederösterreichischen kulturpreis 2018
 
anerkennung mit dem niederösterreichischen baupreis 2018
 
hamerlingstraße 12, 3910 zwettl
 
zeitraum: 2014-2017
leistung: vorentwurf, entwurf, einreichung, ausführungsplanung, ausschreibung, künst.-techn.-geschäft.-oberleitung, örtliche bauaufsicht
text: martin lengauer
fotos: martin kitzler und andreas buchberger
 
 

© martin kitzler

© martin kitzler 

andreas buchbergerandreas buchberger

© andreas buchberger

© martin kitzler 

© andreas buchberger

© martin kitzler

 

Respektvolle Nachverdichtung
 
Ein engagierter Notar stemmt sich gegen Leerstand und Entlebung des Stadtkerns in Zwettl (NÖ). Die neu errichtete, von zauner|architektur geplante Kanzlei besetzt ein schmales Grundstück in der Innenstadt. Das Gebäude besticht durch die räumliche Gliederung und präzise gesetzte Öffnungen. Die Fassadengestaltung berücksichtigt die Proportionen des Straßenensembles und die Sehgewohnheiten der Nachbarn.
 
Der Kontext: Donut versus Faschingskrapfen
 
In der seit mehreren Jahren laufenden Debatte zum Thema Leerstand in Gemeinden ist häufig die Rede vom „Donut-Effekt“? Er bezeichnet die „Entlebung“ gewachsener Orts- und Stadtzentren sowie die Verlagerung von Infrastruktur und sozialen Treffpunkten in die Peripherie. Der „Donut-Effekt“ ist somit eine Chiffre für verfehlte Widmungs- und Raumordnungspolitik, für ausgestorbene Ortskerne, geschlos­sene Geschäfte, baulichen Leerstand – und letztlich für den Verlust des Sozialen im Kommunalen.
 
Das Gegenmodell zum Donut ist der Faschingskrapfen. Sprich: Gemeinden, die sich um die (Neu)Belebung ihrer Zentren, um Infrastruktur und Aufenthaltsqualität in gewachsenen Orts- und Stadtkernen bemühen. Wichtige Promotoren des Faschingskrapfen-Prinzips sind Bauherren, Bürgerinnen und Bürger, die das Heft selbst in die Hand nehmen und sich gegen den ausbreitenden Leerstand stemmen. Einer von ihnen ist Notar Mag. Johannes Kienast in der niederösterreichischen Bezirksstadt Zwettl. Für den Standort seiner neuen Kanzlei wurden mehrere Bauplätze analysiert. Darunter auch welche in peripherer Lage die sicher mit weniger technischem Aufwand und somit wesentlich günstiger bebaut werden hätten können. Er schlug sie aus und setzte auf Nachverdichtung im Stadtkern Zwettls. „Ein Notar gehört ins Zentrum“, so seine Überzeugung.
 
Harmonie statt Symmetrie
 
Durch den Abriss eines baufälligen barocken Bürgerhauses entstand in der Zwettler Hamerlingstraße ein zwischen sieben und neun Meter breiter und 47 Meter langer, beiderseits zum Teil von Nachbargebäuden flankierter Bauplatz. Nicht nur die ungewöhnliche Dimension des Grundstückes beeinflusste die planerische Herangehensweise, sondern auch das Baurecht. Es verlangte die Errichtung von acht Autostellplätzen auf eigenem Grund.
 
Der Grundstückszuschnitt veranlasste zauner|architektur, die Parkplätze samt Umkehrplatz im Erdgeschoß zu organisieren, während die Büroräume für ca. fünf in der Kanzlei arbeitende Personen im ersten Obergeschoß untergebracht sind. Das Dachgeschoß ist umwillen eines harmonischen Stadtbilds nach rückwärts versetzt und beherbergt eine 65 m² große Wohnung. Die Obergeschoße werden durch einen Lift barrierefrei erschlossen. Aus der schmalen Baukörperform ergibt sich zwingend die Anordnung der Büro- und Besprechungsräume rund um die verglasten Innenhöfe, jene der Nassräume und eines Archivs entlang der geschlossenen Feuermauer sowie einer Teeküche mit Terrasse am hinteren Ende des Gebäudes. Um die für eine Notariatskanzlei gebotene Diskretion zu wahren, dämpfen Gipskartonlochdecken, Teppichböden und schallgedämmte Zwischenwände die Betriebslautstärke.
 
Zur Hamerlingstraße hin präsentiert sich das Notariat als klar geschnittener, in die Gebäudezeile und deren Proportionen harmonisch sich einfügender Baukörper. Auffällig die scheinbar willkürlich gesetzten Öffnungen: Portal, Garagentor, Fenster und der zweigeschoßig verlaufende Lichtschlitz für das Stiegenhaus. Die fehlende Symmetrie ist der Enge des Bauplatzes geschuldet, die keine andere Positionierung der Garageneinfahrt zuließ. Die matt-weiße Rahmung der Öffnungen sorgt dafür, dass ihre freie Anordnung keineswegs unruhig wirkt. Der erdfarbene Strukturputz auf der Lochfassade ist eine Reverenz an das Vorgängergebäude. Während jedoch früher eine barocke Blendfassade das dahinterliegende Giebeldach verdeckte, rahmen nun Wände und Flachdach den tatsächlich umbauten Raum.
 
 
Tageslicht mit Hopfengrün
 
Der Baukörper ist durch drei verglaste Lichthöfe strukturiert. Sie versorgen die Innenräume der über 47 Meter Trakttiefe sich erstreckenden Kanzlei mit Tageslicht. Horizontalmarkisen über den Lichthöfen spenden im Sommer kühlenden Schatten. Spätestens nach einigen Vegetationsperioden bietet sich den Mitarbeitern ein beruhigender Blick ins Grüne. Entlang von gespannten Stahlseilen wächst in den Höfen unter anderem auch Hopfen, wie es sich für die Bierstadt Zwettl gehört.
 
Das Notariat ist ein Massivbau aus 25er-Ziegeln mit 16 – 20 cm Vollwärmeschutz, überdacht von Stahlbetondecken samt Warmdach. Darauf befindet sich eine straßenseitig nicht sichtbare Photovoltaikanlage. Für angenehmes Innenraumklima sorgen ein Gasbrennwertgerät mit Fußbodenheizung sowie eine Lüftungs- und Klimaanlage.